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Kolumne: Frontal21 (GTAinside)

Frontal21 - Wahrheit oder Hetzkampagne?

Nachdem das ZDF-Politmagazin Frontal21 am 26.04.2005 zum zweiten Mal über Gewalt in Computer- und Videospielen berichtete, war die Entrüstung unter den Konsumenten erneut groß. Eine zentrale Frage des Berichts lautete, ob sich Gewalt in Computerspielen auf die Gewaltbereitschaft der Konsumenten in realen Situationen auswirkt. Wie bereits im ersten Beitrag zu diesem Thema am 09.11.2004, wählte Autor Dr. Rainer Fromm eine vollkommen einseitige Darstellung des Sachverhalts. Studien - die der These Fromms widersprechen - blieben bewusst unerwähnt, während andere Studien - die Fromm in seiner Meinung bestärkten - als wissenschaftliches Faktum dargestellt wurden. So vergleicht Professor Helmut Lukesch (Institut für Psychologie an der Universität Regensburg) den Konsum von Computerspielen mit dem Rauchen. "Die eindeutigen Belege sind ja bereits vorhanden. Wir kennen die entsprechenden Meta-Analysen - man braucht sich nur im amerikanischen, im internationalen Raum umzusehen, dort gibt es eine Vielzahl von Studien, die dieses belegen. Es muss nicht noch einmal untersucht werden, ob Rauchen tatsächlich zum Lungenkrebs führt, dieser Beweis ist geführt worden." Zunächst ist es verblüffend, dass ein Psychologe die Komplexität des menschlichen Verstandes mit einfachen chemischen Vorgängen vergleicht, die beim Nikotinkonsum zur Schädigung der Lunge führen. Professor Lukesch sollte wissen, dass die Psychologie aufgrund von noch ungenauem Wissen über das menschliche Denken nicht ohne weiteres mit exakten medizinischen Fakten vergleichbar ist. Schließlich bewies man Auswirkungen des Nikotins nicht anhand von repräsentativen Studien unter Rauchern, sondern durch die Untersuchung der Reaktionen, die Nikotin im menschlichen Körper auslöst. Anders ist es bei der Untersuchung der Auswirkungen von Computerspielen. Beim Konsum von Computerspielen gelangen keine Fremdkörper in den menschlichen Körper, die bestimmte chemische Reaktionen auslösen. Stattdessen ist es die Psyche des Konsumenten, die die entscheidende Rolle übernimmt. Während Nikotin unabhängig vom Zustand der Lunge immer ähnlichen Schaden anrichtet (lediglich die Intensität kann sich unterscheiden), ist dies bei psychischer Beeinflussung (unabhängig ob es sich um Spiele, Filme oder andere Personen handelt) nicht der Fall. Ob ein Computerspiel die Gewaltbereitschaft einer Person fördert, hängt also in erster Linie vom persönlichen Umfeld ab. Daher ist es auch völlig natürlich, dass sich Studien - die sich mit diesem Thema beschäftigen - widersprechen. Studien bezüglich der Auswirkungen von Computerspielen auf die menschliche Psyche können also höchstens repräsentativ sein, aber besitzen keine wissenschaftliche Substanz. Die Autoren von Frontal21 sind sich dessen sicher bewusst, verzichten aber trotzdem darauf, auf Studien einzugehen, die nicht zur Botschaft der Sendung passen. Dr. Rainer Fromm sieht seine Aufgabe darin, die Diskussion über Gewalt in Computerspielen zu entfachen. Dies ist ihm zweifellos gelungen, doch leider nimmt er dieser Diskussion ihre Ernsthaftigkeit, wenn er einzelne Studien bewusst falsch darstellt (bzw. darstellen lässt), um seine Ansichten zu stärken. Computerspiele können die Gewaltbereitschaft von Spielern erhöhen, darüber bestehen kaum Zweifel. Diese Möglichkeit jedoch als wissenschaftlich bewiesene zwangsläufige Folge darzustellen, widerspricht der Idee, die Menschen über die Gefahren von Gewalt in Computer- und Videospielen aufzuklären.

Auch andere (vermeintliche) Experten kommen bei Frontal21 zu Wort. So tätigt Manfred Spitzer (Universitätsklinik für Psychiatrie in Ulm, links im Bild) folgende Aussage: "Ein friedfertiger Mensch, der viel Videospiele spielt, ist am Ende gewaltbereiter als ein eher gewaltbereiter Mensch, der gar nichts spielt. Das ist nachgewiesen." Interessant ist jedoch, dass andere Studien das genaue Gegenteil hervorbrachten. Dort wird angeführt, dass Gewalt in den Medien eine Folge von realer Gewalt ist. Der Gesellschaft wird also ein Spiegel vorgehalten. Das bereits vorhandene Gewaltpotenzial kann so zwar durch mediale Gewalt angeregt werden, die Basis für neue Gewalt befindet sich jedoch im vorhandenen Gewaltpotential, nicht in der fiktiven Darstellung von Gewalt in den Medien. Beide Thesen/Studien sollte man berücksichtigen, Beweise bezeichnen jedoch etwas anderes. Um eine unparteiische Darstellungsweise vorzutäuschen, erhalten natürlich auch Vertreter der Gegenseite eine Gelegenheit, ihre Argumente anzuführen. Doch statt den Argumenten von Gamern einen ähnlichen Rahmen wie den Gegenargumenten zu geben, werden bewusst Ausschnitte gewählt, in denen die Personen sehr unsicher und überfordert wirken. Zwar kommen mit Jan Petersen (kreativer Vater der "Initiative gegen die Indizierung von Computerspielen", www.bpjm-klage.de), Markus Lüttig (Webmaster der deutschen Fanseite Doom3Maps.org) und Jens Uwe Intat (Electronic Arts) drei Vertreter der Spielebranche zu Wort, aus langen Interviews werden jedoch nur einzelne (aus dem Zusammenhang gerissene) Zitate in der Sendung verwendet. Aus einem zweieinhalbstündigen Interview wurde letztlich nur eine einzige Aussage von Jan Petersen veröffentlicht. Statt also Petersens Ausführungen über die gesetzliche Handhabung von Computer- und Videospielen im Ausland zu zeigen, wurde eine Aussage gewählt, die ohne den betreffenden Kontext etwas unglücklich wirkt. "Ein Computerspieler sieht diese Effekte ja nicht, der sieht das Spiel und die Effekte sind - 'Eye candy' wird das genannt - nichts anderes als effects, special effects, wie in Hollywood." Petersens intensive Auseinandersetzung mit diesem Thema und die genauen Ziele seiner Initiative werden verschwiegen. Während es das ZDF so darstellt, als wolle Jan Petersen den Kauf von Spielen - die Gewalt zeigen - auch Kindern ermöglichen, fordert er lediglich sein demokratisches Grundrecht auf Freiheit ein. Denn schließlich soll die Freiheit des Einzelnen erst da enden, wo die Freiheit des Anderen beginnt. Warum ist es dann verboten, gewisse Spiele - die für Erwachsene konzipiert wurden - zu bewerben und öffentlich zu verkaufen? Dies widerspricht radikal der Idee der Freiheit.

Weitere Beweise für ihre Thesen finden die Autoren von Frontal21 in einigen Zuschauerreaktionen. So schrieb ein Besucher als Protest auf den ersten Bericht am 09.11.2004 folgenden Brief an die Redaktion: "Man [kann] sich nur wünschen, dass es ein paar wenige Spieler in der Redaktion gibt, die auf die Idee kommen, den Amoklauf von Erfurt aus Recherchegründen live in ihrer Redaktion nachzuspielen." Mit diesem und zwei weiteren Beispielen dieser Art versuchen die Autoren ihren Standpunkt zu untermauern. Jedoch ist davon auszugehen, dass nach jedem umstrittenen Beitrag tausende Briefe beim ZDF eintreffen, von denen sicherlich viele Inhalte dieser Art enthalten. Objektive Briefe, die lediglich den Stil und das Niveau der Beiträge kritisieren, werden nicht erwähnt. Erneut wird also deutlich, dass Frontal21 nicht aufklären möchte, sondern den Zuschauern das eigene Bild vermitteln möchte. Während man diesen Stil eigentlich nur von der Bild-Zeitung und diversen wirtschaftlich orientierten Privatsendern kennt, scheint der "Schmuddel-Journalismus" nun auch bei Öffentlich-Rechtlichen Sendeanstalten zum legitimen Mittel geworden zu sein, wenn es um gute Einschaltquoten geht. Umschreibungen wie "Killerspiele" unterstreichen die Absicht, mithilfe von klischeehaften Stammtischaussagen Fans von Computer- und Videospielen zu diffamieren.

Als Aufmachung des Berichts wird das Spiel Backyard Wrestling benutzt. Hier prügeln sich Wrestler mithilfe diverser Gegenstände wie Eisenstangen und Baseballschläger in Hinterhöfen. Statt im Beitrag auf das Spiel einzugehen, werden nur einzelne gewaltsame Ausschnitte gezeigt. Verschwiegen wird jedoch, dass Backyard Wrestling auf einer Wrestlingliga der amerikanischen Band "Insane Clown Posse" basiert. Schnell wird also klar, dass es sich hier um die Umsetzung einer Show handelt, die kaum eine Verbindung zur Realität besitzt. Das unrealistische Gameplay, die comichafte Grafik und die übertriebene Gewaltdarstellung tragen weiterhin dazu bei, dass keine Gefahr besteht, die Grenzen von Realität und Fiktion könnten verschwimmen. Denn die inkonsequente Haltung gegenüber Gewalt in Spielen wird plötzlich klar, als man im weiteren Verlauf des Beitrags anprangert, dass Spiele und die darin enthaltenen Gewalttaten durch gesteigerte Realität immer brutaler werden. Als Beispiel dient hier das Spiel zum Film Fight Club. Scheinbar waren sich die Autoren selbst unsicher, ob es die besonders realistische, oder doch die besonders übertriebene Darstellung der Gewalt war, die es zu verabscheuen gilt. Weiterhin kritisiert man auch, dass sich Spieler von Mortal Combat an "sadistischen Blutorgien" weiden. Wiederum lässt sich hier der Sinn dieser Aussage in Frage stellen, wenn man doch eigentlich bloß über Folgen von Gewalt in Spielen aufklären will. Wo liegt also das Problem, wenn Spieler Gefallen daran finden, wenn Charaktere - ähnlich wie in vielen Filmen - an übertriebenem Blutverlust leiden? Erneut stellt sich die Frage, ob sich die Autoren wirklich sicher waren, was sie kritisieren wollten.

Eine kritische Stellung gegenüber der Berichterstattung von Dr. Rainer Fromm nimmt auch das Online-Magazin JustGamers ein und lud den Autor der Berichte über so genannte "Killerspiele" zum Interview ein. Dieser nahm dieses Angebot auch an und so entstand ein kleines Interview, was jedoch ein akutes Problem besitzt. Offenkundig schickte JG-Redakteur Andreas Balazik seine Fragen lediglich zu Herrn Fromm und erhielt später dessen Antworten, eine wirkliche Interaktion fand scheinbar nicht statt. Weiterhin waren einige Fragen nicht gut recherchiert, sodass Fromm wieder eine gute Angriffsfläche besaß. Auf einzelne Aussagen möchte ich jedoch kurz eingehen, da diese einfach unhaltbar sind und einer Kommentierung bedürfen. In Bezug auf Backyard Wrestling fällt folgende Aussage: "Die Spiele sind überall im Handel erhältlich - folglich ist es auch legitim zu zeigen, wie hoch in überall angebotenen der Realitätsgrad der Gewalt inzwischen fortgeschritten ist." In Anbetracht dieser Aussage erscheint es unwahrscheinlich, dass Fromm dieses Spiel tatsächlich selbst getestet hat. Denn während man dem Spiel einiges vorwerfen kann, ist die Aussage, dass der Realitätsgrad der Gewalt in Backyard Wrestling weit fortgeschritten sei, schlicht unsinnig. Des Weiteren geht Fromm auch auf Resident Evil ein. "Bei der Umfrage der Zeitschrift Maniac 4/2004, auf welches Spiel sich die Spieler am meisten freuen, landete das Metzelspiel Resident Evil auf Platz 1." Wieder steht die Frage im Raum, inwieweit Dr. Rainer Fromm informiert ist. Zwar besitzt Resident Evil zweifelsfrei auch einen hohen Anteil an Gewalt, das atmosphärische Horrorambiente steht jedoch eindeutig im Vordergrund und lässt jegliche Gewalt im Spiel in den Hintergrund rücken. Zudem kann man hier wiederum keinesfalls von realistischer Gewaltdarstellung sprechen, die Fromm offensichtlich besonders stark kritisiert. Nicht nur die Gewaltdarstellung selbst, auch das Ambiente ist völlig surreal und hebt sich deutlich von der Realität ab. Kritisiert Fromm also, dass realistische Gewaltdarstellung die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verwischt, oder möchte er den moralischen Zeigefinger heben, wenn es um Gewalt als Kunstform geht? Diese beiden Kritikpunkte vermischt er scheinbar willkürlich. Auf die Frage, weshalb die Beiträge bei Frontal21 bewusst einseitig konzipiert sind, reagiert Fromm beinahe patzig. Statt auf die Fragen von Andreas Balazik zu antworten (Warum wurden keine objektiven Leserbriefe erwähnt? Warum erhielten Spiele-Experten keinen Platz für Erklärungen?), unterstellt er dem Redakteur, dass er verlange, er solle nur Personen interviewen, die der Spieleindustrie "nach dem Mund reden". Es war schon immer ein beliebtes Mittel, die Kritik, die man erhält, ohne Argumente auf die Gegenpartei umzumünzen. Jedoch spricht dies nicht unbedingt für Intelligenz, sondern eher für Dummheit und Ignoranz gegenüber anderen Ansichten. Weiter beweist Fromm seine ausgiebige Recherche über Computer- und Videospiele. So behauptet er, das einzige Spielziel von GTA sei "das töten virtueller Gegenüber" (Anm. d. Autors: nicht erst als Doktor sollte man wissen, dass Substantive [das Töten] groß geschrieben werden). Scheinbar habe ich das Spielprinzip von GTA in den letzten Jahren gänzlich missverstanden, wenn ich zur Abwechslung auch mal Missionen ausführte, in denen es nicht um blindes Töten ging. Doch selbst wenn er - wie später im Interview - nur blanke Gewalt kritisiert, bringt er keine Argumente an. "Was bitteschön transportiert ein Spiel wie Backyard Wrestling für 16 jährige - außer Gewalt. Und selbst Erwachsene sollte mal tief nachdenken, ab es bei Fight Club wirklich Spaß und emotional positiv inspiriert, anderen Menschen stundenlang die Knochen zu brechen und dabei einen "Flow", dass heißt ein "gutes Gefühl" zu bekommen." Wieder ist unklar, was er aufzeigen möchte. Auf negative Folgen virtueller Gewalt geht er nicht ein, weshalb seine Worte wieder wie leere moralische Ratschläge erscheinen. Doch wo liegt das Problem, wenn sich Erwachsene an virtueller Gewalt ergötzen? Niemandem schadet diese Form der Gewalt und in einer Demokratie sollte ein Raum für unterschiedliche moralische Ansichten bestehen. Wenn es einige Menschen nicht mit ihrem Gewissen oder ihrer Religion vereinbaren können, fiktive Gewalt zu sehen oder zu erleben, so können sie dieser aus dem Weg gehen. Doch versucht man, anderen Menschen die eigene Moralvorstellung aufzudrücken, so zerstört man all das, wofür Tausende von Freiheitskämpfern ihr Leben verloren und viele Politiker nach dem Krieg gekämpft haben.

Möchte man abschließend ein kurzes Fazit ziehen, so muss man zweifelsfrei eingestehen, dass man sich ernsthaft Gedanken über die Auswirkungen von Gewalt in Computerspielen machen sollte. Eltern sollten also genau nachdenken, bevor sie ihre Kinder alleine vor dem PC oder dem Fernseher zurücklassen. Es erscheint oft bequem, den Medien die Erziehung zu überlassen, doch so einfach darf man es sich nicht machen. Es ist die zukünftige Generation, die das Werk fortführt, an dem wir gerade arbeiten. Wollen wir also, dass unsere Zukunft in der Hand von Spielen, Zeitschriften und Fernsehsendern liegt, oder wollen wir selbst über unsere Zukunft entscheiden? Was für andere Medien gilt, gilt natürlich auch für Frontal21. Falls es die Diskussion über Folgen von Computerspielen bei euch auslöst, so knüpft daran an. Doch wenn es nur als Manipulationsapparat dient, dann ist Frontal21 gefährlicher als die Spiele, die es kritisiert. Ich möchte kein eindeutiges Urteil über die Berichterstattung fällen, keine beteiligten Personen verurteilen. Meine Ausführungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Richtigkeit. Diese Zeilen sollen zum selbstständigen Nachdenken anregen. Glaubt nicht alles, was vermeintliche Experten zu wissen glauben (mich eingeschlossen). Wenn euch die "sadistischen Blutorgien" von Mortal Combat gefallen, dann spielt das Spiel, ohne euch von ZDF-Redakteuren einreden zu lassen, dass ihr deshalb psychisch labil seid. Computer- und Videospiele sind eine Form der Unterhaltung. Wenn Gewalt unterhält, so ändert man dies nicht, indem man es als moralisch falsch brandmarkt. Gleichsam nimmt aber die Gefahr von Gewalt in Computer- und Videospielen nicht ab, indem man sie verschweigt. Ein offener Dialog ist hier wichtig. Ob Sendungen auf dem Niveau von Frontal21 hier eine gute Basis bieten, ist aber leider mehr als fraglich.

Jan Keitsch, 08.05.2005